Kinderhandel in Peru: Gemeinsam gegen „trata“!
Text und Fotos: Jürgen Schübelin, Referatsleiter Lateinamerika und Karibik, Kontakt: redaktion@kindernothilfe.de
Weltweit zwölf Millionen Menschen wurden 2016 Opfer einer sogenannten trata – einer Entführung mit dem Ziel, sie kommerziell sexuell auszubeuten. Die meisten waren minderjährig. In Peru kämpft der Kindernothilfe-Partner Paz y Esperanza gegen das organisierte Verbrechen.
Die Einladung war einfach unwiderstehlich: Direkt ins Studio, zu Cuéntamelo todo („Erzähl mir alles“) mit tollen Fernsehstars. Einmal Show-Ambiente schnuppern und dazu eine Reise nach Lima, in die Hauptstadt! Wochenlang hatte ihr Freund ihr vorgeschwärmt, wie toll das wäre, wenn sie mitkommen würde. Nur erzählen dürfe sie niemandem von dem Plan, vor allem nicht zu Hause, weil dann alle nur neidisch sein würden. Am Ende war es dann ganz einfach: Er wartete vor der Schule in Moyobamba auf sie. Am Omnibusbahnhof stiegen sie in den Überlandbus. Aber in Lima kamen sie nie an. Das Mädchen war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt, ihr angeblicher Freund, der Mann, der sie entführte, 24.
Zaida Márquez redet sich regelrecht in Rage, als sie diese Geschichte erzählt. Die 14-jährige Schülerin aus Lamas ist Klassensprecherin und Trata-Präventions-Aktivistin. Immer wieder hat sie miterlebt, wie Kinder aus ihrer Umgebung verschwunden sind und welche Katastrophe das für die Familien bedeutete: „Die Polizei nimmt“, sagt Zaida, „ganz oft die Hinweise und Warnungen von Kindern und Jugendlichen nicht ernst – oder reagiert erst, wenn es zu spät ist. Trata wird verharmlost und runtergespielt!“ Der Begriff trata steht im Spanischen für Menschenhandel, für die Entführung von Personen – ganz oft mit dem Ziel, sie kommerziell und unter Anwendung von Gewalt sexuell zu missbrauchen. Im Durchschnitt sind die meisten Opfer gerade einmal zwischen zwölf und 17 Jahren alt.
"Trata" ist wie ein wucherndes Krebsgeschwür
Kontaktaufnahme per Smartphone und Social Media
Im Fall des Mädchens, das vor seiner Schule in Moyobamba verschwunden ist, angeblich, um zu einer Fernsehshow zu reisen, waren es Verwandte, die das Kind zufällig nach Monaten im 350 Kilometer entfernten Jaén entdeckten. Ihr Entführer hatte sie in ein vor allem von Lastwagenfahrern frequentiertes Bordell verschleppt. Weil die traumatisierte Familie keine Strafanzeige stellte, blieb das Verbrechen ohne rechtliche Konsequenzen.
Theaterstücke zur Aufklärung über "trata"
Ein Netzwerk gegen trata
Die zweite Komponente dieser erbittert geführten Auseinandersetzung und dem mühsamen Engagement gegen trata hat mit den handelnden staatlichen Akteuren zu tun. Seit sechs Jahren kämpft das Paz-y-Esperanza-Team darum, die Verantwortlichen der verschiedenen Behörden und Institutionen an einen Tisch zu bekommen. 2013 erließ die Regionalregierung immerhin ein Dekret, um im Alto Amazonas ein regionales Netzwerk gegen trata zu konstituieren. Kompetenzstreitigkeiten und wohl auch fehlendes Vertrauen zwischen den handelnden Personen verhinderten, dass die Initiative Erfolg hatte. Erst mit dem zweiten Anlauf kam 2015 la Red Regional contra la Trata schließlich zustande: Jetzt finden regelmäßige Treffen zwischen den verschiedenen Polizeibehörden, der Staatsanwaltschaft, den Schulämtern, der Regionalverwaltung, den Krankenhäusern und Organisationen aus der Zivilgesellschaft wie Paz y Esperanza statt. Das Netzwerk hat drei Unterkommissionen konstituiert: für Vorbeugung, Strafverfolgung der Täter und für die medizinische und psychologische Hilfe für die Opfer und ihre Familien.
Karol Vela räumt ein: „Das Thema ist endlich in der Region angekommen. Die Verantwortlichen sind aufgewacht.“ Zu spüren bekommen das auch die Täter: Anders als in früheren Jahren gibt es in der Region San Martin inzwischen 37 laufende Strafverfahren gegen Personen, die Kinder und Jugendliche entführt und sexuell ausgebeutet haben. In immerhin 42 Fällen wurden Ermittlungen eingeleitet. Einige der Kinder mussten mit ihren Familien in ein Zeugenschutzprogramm, um die Verfahren gegen Schlüsselpersonen aus Strukturen des organisierten Verbrechens überhaupt einleiten zu können – aber noch immer gibt es die Fälle, in denen die Entführer völlig straffrei davonkommen. Das Paz-y-Esperanza-Team ist deshalb davon überzeugt, dass es dringend noch mehr internationalen Druck auf die peruanische Zentralregierung in Lima braucht, um wirklich den Durchbruch zu schaffen. Das nächste Etappenziel besteht darin, das Leiden der Trata-Opfer in der Amazonas-Region beim nächsten Universal Periodic Review-Verfahren zu Peru vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf zu thematisieren. „Was wir brauchen“, sagt Karol Vela, „sind keine weiteren Versprechen – sondern die konsequente Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen und verabschiedeten Aktionspläne“. Zaida wünscht sich nur eines: „Alle Kinder und Jugendlichen müssen sich der Gefahren und Risiken, die trata für sie bedeutet, bewusst sein – und gegenseitig viel sorgfältiger aufeinander aufpassen!“
Weiterführende Links zur Arbeit des Kindernothilfe-Projektpartner Paz y Esperanza:
http://www.pazyesperanza.org/pe/lo-que-sucede
http://www.pazyesperanza.org/pe/como-trabajamos/pir
Stand: Oktober 2018