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Fast zwei Jahre Krieg in der Ukraine: Darum brauchen die Kinder auf der Flucht die Weihnachtsspenden von WAZ und Kindernothilfe immer noch
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Geflüchtet aus der Ukraine: So helfen Sie Swetlanas Kindern

Text: Annika Fischer, Fotos: Jakob Studnar/Kindernothilfe

Bukarest. Abends, wenn die fünf Kinder im Bett sind, dann schaltet Swetlana den Ton am Fernseher ein. Weihnachtsmusik, das Programm sendet rund um die Uhr. „Wir leben in der Erwartung“, sagt Swetlana, 41. Und meint nicht den Advent.

Früher, in Charkiw, haben sie Weihnachten mit der Familie gefeiert. Aber die Eltern sind in der Ukraine geblieben, es gibt auch Verwandte in Russland, und die Schwester in Amerika hat die Zwillinge noch nie gesehen. Georgi und Leonid wurden geboren auf der Flucht. Swetlana landete in Bukarest, Rumänien, ihr Mann durfte mit ausreisen, wegen der Kinder. Er hat jetzt zwei Jobs, als Autolackierer, von 7 bis 16 Uhr und von 17 bis 21 Uhr, das Geld reicht trotzdem nicht.

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Die "Nottasche" reicht nicht mehr: Jetzt gibt es Gutscheine für Flüchtlinge

Die Wohnung hat Kindernothilfe-Partner Concordia besorgt, aber die horrenden Nebenkosten muss die Familie selbst aufbringen, allein 500 Euro im September für Strom, Wasser und die Müllabfuhr. Das Concordia-Team nimmt die Rechnung heute mit, sie wollen das prüfen, lassen einen Gutschein da für Hygieneartikel. Und Weihnachten? Swetlana seufzt schwer, sie ist ein gläubiger Mensch. „Ohne Gott kommen wir nicht zurecht“, sagt sie, sie hat auch nur den einen Wunsch: „Wir wollen nach Hause.“ Aber immerhin: Die Kinder haben Freunde gefunden, sie gehen in die Schule, lernen Rumänisch. Der Elfjährige hat einen Pokal im Fußball gewonnen, den „Winterchristmas-Cup“.

Auch die Helfer der ukrainischen Flüchtlinge haben in den bald zwei Jahren Krieg dazugelernt: Dass es nicht mehr reicht, Erste Hilfe zu leisten. Lebensmittelpakete zu packen, Matratzen zu schleppen, Tränen zu trocken. Sie packen immer noch Päckchen, aber jetzt ist Spülmittel darin, Toilettenpapier, Zahnpasta und nicht für Babys wie Jugendliche immer das Gleiche. Sie fragen nicht mehr: Woher kommst du? Sie fragen: Wie geht es dir? Die Menschen brauchen Wohnraum, Jobs, Plätze für ihre Kinder in Schule und Kindergarten. Und sie bekommen Gutscheine, damit sie sich das Nötigste „kaufen“ können: Essen, Medizin, Kleidung. Die meisten sind damals gekommen mit der „Nottasche“, die Ukrainer immer gepackt hatten in den Wochen vor Kriegsbeginn: Dokumente, Medikamente, Ladekabel. Und mit dem Gedanken: Es ist nicht für lange, der Krieg ist bald vorbei.


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Mutter mit ihren fünf Kindern in der Wohnung am Küchentisch (Foto: Jakob Studnar / Kindernothilfe)
Swetlana aus Charkiw mit ihren fünf Kindern in der Küche ihrer Wohnung in Bukarest (Quelle: Jakob Studnar/Kindernothilfe)
Mutter mit ihren fünf Kindern in der Wohnung am Küchentisch (Foto: Jakob Studnar / Kindernothilfe)
Swetlana aus Charkiw mit ihren fünf Kindern in der Küche ihrer Wohnung in Bukarest (Quelle: Jakob Studnar/Kindernothilfe)

Er ist es nicht. Deshalb ist auch die andere Swetlana noch da. Swetlana mit Adrian, 7, und Anastasia, 4, die doch auch dachte: „Es ist nur für zwei Wochen, wir gehen kurz in Deckung.“ Nach zwei Monaten begriff die 34-jährige Juristin, dass sie sich einen Job suchen muss, sie arbeitet jetzt als Putzhilfe. In Odessa hatte der Fußballverein einige Familien in einen Bus gepackt, bloß weg von hier, der Trainer organisierte alles. Er schickte auch seine eigene Frau mit und die zwei Kinder – und starb bei einem Bombenangriff, da war die halbe Kindermannschaft sicher in Rumänien.

Wo ihr Mann ist, weiß Swetlana nicht, sie darf nicht darüber reden. Manchmal telefoniert sie mit ihm, er kämpft irgendwo gegen die Russen. Und Adrian ist böse auf Russland, „weil es uns das angetan hat“. Anfangs hat Swetlana den Krieg versucht fernzuhalten von den Kindern, nun spricht sie mit ihnen darüber: „Es ist auch ihre Geschichte.“ Aber es ist nicht einfach, „so etwas lernt man nicht“. Auch nicht, wie man Tochter und Sohn den Vater ersetzt. Oder was man sagt, wenn sie fragen: Wann fahren wir nach Hause? Swetlana sagt, sie weiß es nicht. „Weil es die Wahrheit ist.“ Sie sagt ihnen aber nicht die ganze Wahrheit: „So wie es war, wird es nicht mehr.“


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Mutter sitzt mit zwei Kindern draußen am Fluss (Foto: Jakob Studnar / Kindernothilfe)
Swetlana aus Odessa und ihre Kinder Adrian und Anastasia kamen mit einem Bus vom örtlichen Fußballclub nach Rumänien (Quelle: Jakob Studnar/Kindernothilfe) 
Mutter sitzt mit zwei Kindern draußen am Fluss (Foto: Jakob Studnar / Kindernothilfe)
Swetlana aus Odessa und ihre Kinder Adrian und Anastasia kamen mit einem Bus vom örtlichen Fußballclub nach Rumänien (Quelle: Jakob Studnar/Kindernothilfe) 

"Du kannst nicht atmen, wenn du nicht weißt, ob du abends noch lebst"

Neben Swetlana betreut die „Casa Iuda“ in Bukarest eine weitere Familie aus Odessa, obwohl: Marina hat eine wilde Fluchtgeschichte hinter sich, es kommt Charkiw darin vor und ein Dorf in der Nähe, immer wieder neue Orte, an denen die Raketen sie einholten, die 41-Jährige und ihre Tochter Natalia. Immer wenn sie glaubten, sie seien sicher, ging ein Waffenlager hoch oder das Nachbarhaus verlor mehrere Etagen, es starb eine Familie: das Baby, die Oma, Vater und Mutter, „alle tot“. Die Klinik, in der Natalia geboren wurde, gibt es nicht mehr. Marinas Augen wandern wild, wenn sie davon erzählt, sie sieht die Bilder eingebrannt auf ihrer Netzhaut. Es war eine „Lotterie“, sagt Marina, „du kannst nicht atmen, wenn du nicht weißt, ob du abends noch lebst“.

Und Natalia, 13, konnte es erst recht nicht, sie ist herzkrank. „Sie braucht ein friedliches Umfeld.“ Marina sucht es in Rumänien, weil das Land in der Nato ist, das hält sie für sicher, und außerdem haben sie es endlich warm. Und Wasser aus dem Hahn. Aber sie würde es nicht schaffen ohne Concordia. Die einstige Geschäftsfrau braucht Medizin und einen Arzt für ihr Kind – und eigentlich auch für sich. Denn Marina liegt manchmal nur im Bett, isst nichts, kocht nicht, hat keine Kraft. Die langen Haare hat sie sich abgeschnitten, es ist ihr „alles egal“. Aber das stimmt nicht, jetzt weint sie bittere Tränen.

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Frau im Gespräch mit Mitarbeiterin der Kindernothilfe (Foto: Jakob Studnar / Kindernothilfe)
Marina wünscht sich ein ruhiges Umfeld für ihre herzkranke Tochter Natalia (Jakob Studnar/Kindernothilfe)
Frau im Gespräch mit Mitarbeiterin der Kindernothilfe (Foto: Jakob Studnar / Kindernothilfe)
Marina wünscht sich ein ruhiges Umfeld für ihre herzkranke Tochter Natalia (Jakob Studnar/Kindernothilfe)

Katerinas ältester Sohn ist im Krieg vermisst

Dass die WAZ von ihr erzählen will im Advent, verwirrt sie für einen Moment: „Das ist keine Weihnachtsgeschichte!“ Aber dann will sie doch etwas sagen zum Fest: „Schätzt das, was ihr habt!“ Die Ukrainer seien genauso gewesen, immer Meckern über Kleinigkeiten, „aber eigentlich war es gut“. Marina hat einen Wunsch für die WAZ-Leser: „Dass ihr nie versteht, wie es ist, wenn man wegfährt und nicht weiß, ob man je zurückkommt.“

Viele Menschen sind ja zurückgegangen in die Ukraine, weil sie in der neuen Umgebung keine Perspektive fanden. Katerina aus Cherson ist unter ihnen, die mit acht Kindern und Nichten aus Cherson in das Dorf Odobesti kam. Sie hatten nur ein altes Telefon für die Online-Schule, Baby Nicole hatte seinen Vater noch nie gesehen. Katerina, 39, reiste zurück in den Krieg, als sie hörte, dass ihr Ältester, ein Soldat, im Donbass vermisst war. Den Kindern hat sie den wahren Grund nicht gesagt: Sie will ihn suchen, sie will in seiner Nähe sein. Die Familie wohnt jetzt in seiner kleinen Wohnung. Und hofft auf gutes Wetter im Winter: „Damit wir nicht so frieren müssen.“ Katerina weint am Telefon, neulich hat sie gefragt, ob sie nicht doch zurück kann nach Rumänien. „Es ging uns gut dort.“ 80 Prozent der vermissten Soldaten, wissen sie in der Casa Iuda, sind auch tot.


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Familienfoto unterm Apfelbaum: Mutter mit ihren Töchtern, Nichten und dem kleinen Sohn. Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto ServicesWAZ Weihnachtsspendenaktion
Katerina aus Cherson mit ihrer Familie im vergangenen Jahr (Quelle: Ralf Rottmann/FUNKE Foto Services)
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Katerina aus Cherson mit ihrer Familie im vergangenen Jahr (Quelle: Ralf Rottmann/FUNKE Foto Services)

"Wenn der Tod an die Tür klopft, denkst du nicht rational"

Sie können solche Entscheidungen nicht immer verstehen. „Aber welcher Stress ist schlimmer?“, fragt der Sozialarbeiter Petru, selbst Ukrainer: Zurückzureisen zu den Vätern, Kinder nach Hause zu bringen, die in der rumänischen Schule nicht zurechtkommen – oder dazubleiben, ohne die Sprache zu sprechen, ohne Aussicht auf Arbeit, auf eine Zukunft? „Du hast ein Leben dort, du möchtest deine Familie sehen. Die Männer, die Alten: Wenn der Tod an die Tür klopft, denkst du nicht rational.“

Und alle, denen sie hier helfen, hatten ja zuvor „ein normales“ Leben, weiß Stefania Diaconu im Kinderschutzzentrum. Aber alles verlieren und dann um Hilfe fragen müssen: „Das ist auch eine Frage des Stolzes.“ Und für den Kindernothilfepartner eine Herausforderung. Viele Einrichtungen hätten inzwischen geschlossen sagt die Chefin Diana Certan. „Am Anfang sind alle gesprungen“, den Flüchtlingen zu helfen, aber nun, wo ein Ende nicht in Sicht ist, sei „die Kindernothilfe der einzige Partner, der geblieben ist“. Sie haben ihr Programm verändern müssen, es geht jetzt um Integration, sie wollen die Familien selbstständig machen, nicht abhängig. Die Leute sollen Wurzeln schlagen in Rumänien. Zwar weiß Diana Certan wohl, dass sie alle nach Hause wollen. „Aber wir helfen ihnen, unter ,Zuhause’ etwas anderes zu verstehen als einen Ort in der Ukraine.“


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Über die Autorin

Portrait Annika Fischer (Quelle: Kai Kitschenberg/ FUNKE Foto Services)
Annika Fischer
Annika Fischer ist Reporterin und war mit der Kindernothilfe seit 2008 in Bangladesch, Guatemala, dem Libanon und Äthiopien.

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