Sri Lanka: Teepflückerinnen nehmen ihre Zukunft selbst in die Hand
Text: Katharina Nickoleit, Fotos: Christian Nusch
Während bei uns die meisten schon lange zur Normalität zurückgekehrt sind, hat Corona anderswo noch immer verheerende Folgen. Nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil die Lockdowns wirtschaftliche Verwerfungen verursachten. Die treffen die Ärmsten am härtesten. Auf 20 Teeplantagen lernen die Arbeiterinnen, was ihnen von staatlicher Seite zusteht und wie sie es einfordern können.
„Das hier ist mein Küchengarten!“ Malar zeigt auf ein Beet in einer Nische der Hauswand und schickt ihre siebenjährige Tochter los, um Wasser zum Gießen zu holen. Die Parzelle ist so klein, dass die Besucher aus Deutschland sie erst gar nicht als solche erkennen. „Ich habe zuerst auch gedacht, dass es unmöglich ist, Gemüse selbst zu ziehen, weil ich einfach keinen Platz dafür habe. Aber die Selbsthilfegruppe hat mich motiviert, es trotzdem zu versuchen“, meint die 28-Jährige, als sie den verwunderten Blick bemerkt. „Sie hatte recht! Immerhin drei Bohnenranken kann ich darin pflanzen. Sie bescheren uns einmal pro Woche eine zusätzliche Mahlzeit. Das ist eine große Hilfe! Denn seit Corona reicht das Geld nur noch für zwei Mahlzeiten am Tag.“ Malar streicht über ihren Bauch. In zwei Monaten kommt ihr zweites Kind. Sich ausgewogen zu ernähren, ist jetzt wichtiger denn je.
Ein Liter Milch kostet einen halben Tageslohn
Die Lebensbedingungen der Menschen, die auf den Teeplantagen arbeiten - meistens Frauen -, waren noch nie einfach, doch seit Covid-19 sind sie ungleich schwieriger geworden. „Die Krankheit als solche war hier in den isolierten Siedlungen nicht das Problem“, meint Aruniya Jotikumar, Mitarbeiterin des Kindernothilfepartners Tea Leaf Vision (TLV). „Aber die Pandemie hat Sri Lanka in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt. Seither haben sich die Preise verdreifacht, doch die Einkommen sind gleichgeblieben. Das Leben ist so teuer geworden, dass die Menschen sich selbst das Nötigste nicht mehr leisten können.“
Als mit dem Lockdown die wichtigen Einnahmen aus dem Tourismus ausblieben, schlitterte Sri Lanka in die Staatspleite. Alles, was importiert werden muss, wurde unerschwinglich teuer. Selbst das Grundnahrungsmittel Reis. Der wächst zwar auf der Insel, doch die srilankanische Landwirtschaft ist abhängig von der Einfuhr künstlicher Düngemittel und Pestizide, und die sind teuer geworden. Ein Liter Milch kostet inzwischen umgerechnet 1,50 Euro, das ist ein halber Tageslohn. Kurzum: Das Geld, was Malar und ihr Mann gemeinsam verdienen, reicht einfach nicht mehr.
„Ihr bekommt von uns keine Güter, sondern Wissen“
„Die Lage der Teepflückerinnen wurde immer verzweifelter, zwischenzeitlich konnten viele nur noch eine Mahlzeit pro Tag bezahlen. Deshalb entschlossen wir uns 2021, sie dabei zu unterstützen, sich selbst zu helfen, und begannen mit der Gründung von Frauenselbsthilfegruppen“, erinnert sich Aruniya. Als Projektleiterin rief sie auf verschiedenen Teeplantagen 20 solcher Gruppen ins Leben. Eigentlich hatte sie mit je 15 Mitgliedern gerechnet, aber die Nachfrage war so groß, dass es überall 20 wurden. Und trotzdem konnten nicht alle Anfragen berücksichtigt werden.
„Die Frauen haben bereits seit vielen Jahren Erfahrung mit Hilfsorganisationen, die schon früher in schwierigen Situationen Spenden verteilt hatten. Doch an der grundsätzlichen Lage hat das nie etwas geändert, die Familien blieben abhängig. Als wir kamen und sagten ‚ihr bekommt von uns keine Güter, sondern Wissen, dass euch in Zukunft helfen wird‘, war das Interesse der Frauen an den Gruppen riesig.“
7 Cent pro Frau machen den Unterschied
So wie Latha. Sie ist zehn Jahre alt, die Älteste von vier Geschwistern und geht in die 5. Klasse. Um dort pünktlich zum Unterrichtsbeginn um acht Uhr anzukommen, läuft sie jeden Morgen um sechs Uhr los. „Ich gehe immer zusammen mit meinen Freundinnen, dann ist es nicht so langweilig. Außerdem greifen einen die Leoparden nicht an, wenn man in einer Gruppe unterwegs ist“, meint sie. Bergab geht es noch, aber nach einem langen Schultag die sechs Kilometer wieder bergauf in die Siedlung zurückzulaufen, ist sehr anstrengend. „Danach brauche ich immer erstmal eine Pause.“
Eigentlich sollte es einen Schulbus geben, um Latha und den anderen Kindern von der Teeplantage den täglichen Fußmarsch zu ersparen. Aber irgendwann zwischen Lockdown und Wirtschaftskrise hörte der auf zu fahren. Seither hat sich niemand darum gekümmert. Dabei hat in Sri Lanka jedes Kind das Recht darauf, sicher und in einem angemessenen Zeitraum zur Schule zu kommen.
Die Frauen forderten einen Schulbus – mit Erfolg
Die Bibliothek ist ein wichtiger Zufluchtsort
„Die Bibliothek ist mein Lieblingsort. Ich komme jeden Tag hierher. Hier kann ich meine Freundinnen und Freunde treffen, lesen und die Lehrerin fragen, wenn ich etwas in der Schule nicht so richtig verstanden habe“, meint Latha und blättert in ihrem Lieblingsbuch „Unity is strength“. Eine Fabel, in dem es darum geht, was man alles erreichen kann, wenn man zusammenhält. Für Außenstehende mag das Lesezentrum nur ein kahler, etwas feucht riechender Raum mit einer Kreidetafel, 20 Büchern und ebenso vielen harten Holzstühlen sein. Doch für die Kinder der Siedlung, die oft mit bis zu zehn Familienmitgliedern sehr beengt wohnen, ist es ein wichtiger Zufluchtsort.
Wenn die Bibliothek öffnet, dauert es nur wenige Minuten, bis alle Plätze besetzt sind. Um sicher zu gehen, dass sie einen der Stühle erwischt, kommt Latha immer lang vor der Öffnungszeit. „Zu Hause ist es oft sehr laut und ständig will jemand was von mir – ich bin ja die Älteste und muss mich viel um meine Geschwister kümmern oder bei der Hausarbeit helfen. Hier kann ich einfach ganz in Ruhe sitzen und lesen.“
Die Frauen werden ihre Sache selbst in die Hand nehmen
Über die Autorin
Katharina Nickoleit
und ihr Mann, der Fotograf Christian Nusch, reisen seit vielen Jahren in unsere Projektländer und bringen Reportagen, Interviews, Videos und Fotos mit.