Bangladesch: Bis 2050 13 Millionen Klimaflüchtlinge
Text: Hubert Wolf, Fotos: Lars Heidrich
(veröffentlicht in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung)
Der Klimawandel gefährdet die Küstenregionen von Bangladesch: Der Meeresspiegel steigt, Salzwasser verdirbt Grundwasser. Viele ziehen fort, um zu überleben.
An normalen Tagen ist die Chila Manumia High School in Mongla im Distrikt Bagerhat tatsächlich eine Schule. Mehr als 200 Mädchen und Jungen in strahlend blau-weißen Schuluniformen lernen hier, der Weg führt vorbei an der 6. Klasse, die gerade Mathematik hat. Dahinter wartet Rektor Maftun Ahmed, der in seinem großen Büro unter zwei hart arbeitenden Ventilatoren sitzt und erklärt, warum Schulen hier immer auch etwas anderes sind. Zyklon-Schutzräume.
"Wer zu Hause bleibt, stirbt!"
Das größte Problem ist versalzenes Grundwasser
Die Landwirtschaft wird stark eingeschränkt, die Menschen können das Grundwasser nicht mehr trinken. Ja, sie bevorraten sich in der Regenzeit, fangen Wasser auf mit allem, was leer ist. Aber die Trockenzeit von November bis Mai ist auch lang. Deshalb ist „das Eindringen von Salzwasser eines der größten Probleme von Bangladesch“, sagt ein Mädchen auf der „2. Küstenkinderkonferenz zum Klimawandel“ in Khulna. Geplant und umgesetzt von einer Organisation für Kinder, Umwelt und Entwicklung, die mit der Kindernothilfe zusammenarbeitet: Jagrata Juba Shangha. Denn „Mädchen und Jungen treffen die durch den Klimawandel verursachten Naturkatastrophen am härtesten“, heißt es bei ihr: „Zudem sind fast 40 Prozent der Bevölkerung unter 19 Jahre alt.“
Siebenmal am Tag Wasser holen
„Trinkwasser ist ein großes Problem“, sagen auch Mutter und Tochter, die gerade das Dorf Keyabunia im Süden des Landes verlassen. Sie tragen mehrere leere Krüge mit sich. Sie werden zu einem Teich im Landesinnern gehen, die Krüge dort füllen und wieder nach Hause tragen. Die Strecke ist etwa zwei Kilometer lang. Sie gehen sie siebenmal am Tag.
Frauen wie diese sieht man in den Dörfern in Küstennähe überall. In strahlend roten, gelben oder orangefarbenen Saris, verschleiert oder auch nicht, mit Kopftuch oder ohne, tragen sie das kostbare Wasser zu ihren Familien.
Unwetter zerstörten viermal das Haus
Ivy Lota Mistrys Eltern haben in den letzten vielleicht 15 Jahren, wer soll sich das jedes Mal merken, viermal ihr Holzhaus verloren, Stürme und Überschwemmungen nahmen jedes mit. Da waren sie es leid, zogen mit Ivy und dem kleinen Bruder etwas weiter ins Landesinnere und bauten mithilfe aller Verwandter ein neues Haus. Freilich sind sie noch immer der Küste so nah, dass sie das Grundwasser nicht mehr trinken können oder sollen. Und darum steht seit Kurzem der riesige, rosafarbene Tank einer Hilfsorganisation vor dem Haus, um möglichst Wasser zu fangen in der Regenzeit. „Klimaresilienz, Wassersicherheit und privater Anbau“ steht in englischer Sprache auf dem Tank.Flucht in die großen Städte
Ein Urwald als Umweltschützer
„Der Urwald ist der größte Umweltschützer von Bangladesch“, sagt Shubhomoy Haque von der Kindernothilfe. Die Organisation unterstützt in Bangladesch aktuell sechs Projekte mit 9 800 Mädchen und Jungen, um ihre Gefährdung durch die Klimakrise zu verringern und um ihnen eine Stimme und einen Platz in der Krisenbekämpfung zu geben: Diese Kinder, alle Kinder werden schließlich am längsten mit dem Klimawandel zu kämpfen haben. Sie sind die nächste Generation.
Der Urwald heißt „Sundarbans“, „Schöner Wald“ in der Sprache Bengali; mit 10 000 Quadratmetern Fläche der größte Mangrovenwald der Welt. Er schützt die Küste und die Menschen allein durch seine Existenz, bremst das Wegspülen des Bodens, mindert das Ausmaß von Wirbelstürmen und Fluten. „Umso wichtiger ist der nachhaltige Schutz der Sundarbans und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner“, sagt Haque. Deshalb ist jeder, der geht, ein Verlust für alle.
Später am Tag zieht ein anderthalbstündiger Sturm auf, so schwarz, so nass und blitzdurchtost, wie man es in Europa nicht erleben kann. Hunderte Menschen flüchten sich in eine breite Unterführung, die, Gott sei Dank, nicht tiefergelegt ist. Den ausgesprochen beeindruckten Ausländern sagt ein Mann danach, das seien doch nur „a few drops“ gewesen – „ein paar Tropfen“.