Spenderfamilie besucht die Kinder am Menschenfresser-Berg
Text: Beate Lühder
In Patin Beate Lühders Familie dürfen sich die Kinder als Abiturgeschenk eine gemeinsame Reise zu einem Ort ihrer Wahl wünschen. Und so kam es, dass sie sich zu ihrem großen Erstaunen zusammen mit ihrer Tochter 2019 im Armenhaus Südamerikas wiederfanden, denn ein Vortrag aus deren Spanischunterricht sollte auf Authentizität geprüft werden. Dabei besuchte die Familie auch ein Kindernothilfe-Projekt im bolivianischen Potosí, der höchstgelegenen Großstadt der Welt. Dort schuften Männer und ihre Söhne in den Stollen des Cerro Rico. Das Projekt bietet Ausbildungen als Alternativen zum Bergbau. Mit ihrem dem Reisebericht möchte Beate Lühder alle Patinnen und Paten ermuntern, die Chance auf aktiven Kontakt zu ihrem Patenkind zu nutzen. Jeder Gruß, jedes Bild löst unheimlich viel Freude aus.
Potosí, diese ehemals reichste Stadt der Welt mit ihren 25, mit viel Liebe zum Detail errichteten Kirche, verdankt ihren Reichtum dem 4.800 m hoch gelegenen Cerro Rico. Statistisch gesehen stammt das Silber jedes zweiten Löffels aus Omas Küchenschrank von dort. Jahrzehntelang von der staatlichen bolivianischen Bergbaugesellschaft COMIBOL betrieben, dann privatisiert und schließlich als unwirtschaftlich aufgegeben, ist der Cerro nun in den Händen von zahlreichen Klein-Kooperativen, die rücksichtslos und unabhängig voneinander Löcher und Gänge in den Felsen sprengen.
Aber der reiche Berg hat auch noch einen zweiten Namen: Menschenfresser! Jedes Jahr kommen zu den bisher geschätzten acht Millionen Opfern, die hier seit der Kolonialzeit ums Leben gekommen sind, Dutzende dazu. Niemand will dort arbeiten, aber es gibt kaum Alternativen, und mit rund zwölf Euro Tageslohn wird der Job doppelt so gut bezahlt wie einer im zweitgrößten Arbeitsbereich, dem Baugewerbe. Maximal 20 Jahre schafft ein Mann diese Arbeit körperlich. Dann muss auch sein Sohn in den Berg, um die Familie zu ernähren – ein Teufelskreis.
Ein Besuch in der Mine
Wir schließen uns der Tour einer Kooperative an, ziehen uns Arbeitssachen, Gummistiefel und einen Helm an und fahren wie echte Arbeiter zum Markt. Jeder muss hier das zum Überleben und Arbeiten Notwendige selbst kaufen: Kokablätter, Dynamit, 96%igen Trinkalkohol. Dann balancieren wir auf Schienen in den engen Stollen, der nur durch unsere Helmlampen minimal erleuchtet wird. Plötzlich ein grummelndes Geräusch und die scharfe Ansage: „An die Wand, aber nichts berühren!“ Das Grummeln wird lauter, und aus dem Dunkeln formt sich der Umriss einer 1,5 Tonnen schweren Lore, geschoben von zwei jungen Männern. Plötzlich ein Loch unter den Schienen, weit unten ein schwacher Lichtschein, ein tiefer gelegener Stollen. Ein großer Schritt hinüber. Über eine senkrechte, feuchte Leiter geht es nach oben und den nächsten Stollen entlang. Wir balancieren über einen Balken, der ein Loch in unerkenntliche Tiefen überspannt. Am Ende des Stollens eine Seilwinde, über die ein Förderkorb hochgezogen und ausgeleert wird. Ohrenbetäubendes Getöse, staubgesättigte Luft … Panik! Raus!
Ein Junge weicht nicht von meiner Seite. Gern hätte er Paten und würde Briefe von weit weg empfangen – ihm ist nicht bewusst, dass er welche hat. Wie gut, dass sein Platz hier finanziert wird, aber wie schade, dass sich seine Paten nicht melden. Er hätte so viel zu erzählen. Aus dieser Erfahrung mein dringlicher Appell: Paten, pflegt die Patenschaft! Auch wenn die Briefe der Kinder manchmal unpersönlich sind, sind unsere Nachrichten ganz wichtig. Und wer weiß, vielleicht wird der nächste Brief persönlicher, und es beginnt eine neue Freundschaft …