Der Sinn des Stiftens
Vor 15 Jahren wurde die Stiftung der Kindernothilfe ins Leben gerufen. Seitdem engagieren sich mit ihr mehr als 650 Menschen, indem sie Teile ihres Vermögens dauerhaft für den guten Zweck stiften. Zum Jubiläum gehen wir der Frage nach, warum man eigentlich zum Stifter wird und was das Stiften bewirkt - für Kinder weltweit und für den Stifter. Wir sprachen darüber mit dem Stiftungsratsvorsitzenden Norbert Blüm und der Stifterin Sabine Herrmann.
Von Bastian Strauch, Kindernothilfe-Redakteur
Die Wirkung des Stiftens lernte Norbert Blüm früh im Leben zu schätzen. „Dass ich Studium und Dissertation ohne Existenzsorgen absolvieren konnte, habe ich vor allem zwei Stifterstipendien zu verdanken“, blickt der promovierte Philosoph und frühere Bundesminister zurück. „Das nahm damals eine große Last von mir. Ohne die Unterstützung hätte dieser akademische Lebensabschnitt, den ich ja erst über den zweiten Bildungsweg einschlug, wohl um einiges länger gedauert“, schmunzelt er, „ich hätte nämlich für mein tägliches Brot nebenher noch mehr arbeiten müssen, als ich es ohnehin schon tat.“ Ob er sich damals auch schon genauer mit dem Stiftungsgedanken auseinandergesetzt hat? „Nein, nein“, sagt er, „mir war zwar wichtig, dass das Geld aus anständigen Händen kommt - wie genau und mit welcher Absicht es entstanden war, das hatte mich damals noch nicht so sehr interessiert.“
Die Idee fand er hervorragend: Die Stiftung sollte dazu beitragen, dass die Kindernothilfe unabhängig vom Auf und Ab der Spenden kontinuierliche und nachhaltige Entwicklungshilfe leisten kann. Denn die Vermögen und Erbschaften, die ins Stiftungskapital hineingeben werden, bleiben dort dauerhaft erhalten, während die regelmäßigen Zinsen ausgewählte Projekte finanzieren.
"Sinn und Werte im Leben - damit beschäftigen sich hier alle"
Auch die Beweggründe, eine Patenschaft zu übernehmen, deckten sich: „Das ist sehr viel wert, wenn Kinder schon früh einen Bezug haben zu Gleichaltrigen, die in einer ganz anderen Welt mit ganz anderen Problemen leben“, meint Herrmann, „das weitet ihren Blick ungemein.“ Sabine Herrmanns eigener Blick für die Ungerechtigkeiten der Welt sei geschärft worden, als sie als reisende Studentin in Delhi unzählige Kinder sah, die auf der Straße schliefen, lebten und arbeiteten, indem sie die Reichen mit Rikshas durch die Gegend fuhren.
Das Stiften hatte Herrmann indes noch überhaupt nicht im Blick, als sie vor 15 Jahren die erste Patenschaft für ihren Sohn übernahm. „Diese Idee entstand dann vor zwölf Jahren, als mein Vater starb“, erzählt Herrmann. Er selbst habe eine arme und schwere Kindheit im Heim gehabt, aber aus eigener Kraft und mit fremder Unterstützung, die er vor allem in seiner Kirchengemeinde erfuhr, eine äußerst beeindruckende Laufbahn hingelegt: zum Ingenieur, erfolgreichen Unternehmer und später sogar zum Professor. „Sobald er genügend Geld hatte, setzte er es für benachteiligte Kinder ein, denn er wusste, welchen Unterschied das machen kann.“
Da Herrmanns Vater nicht darüber verfügt hatte, sein Erbe einem gemeinnützigen Zweck zugutekommen zu lassen, habe er seiner Tochter posthum eine wichtige Frage gestellt, wie sie heute weiß: „Für welchen Sinn und Zweck willst du die Mittel und Möglichkeiten, die du im Leben hast, einsetzen - und wie entfalten sie für dich und deine Mitmenschen den größtmöglichen Wert? Eine Frage, die ich mir zuvor noch nicht so bewusst gestellt hatte, die aber beim Tod meines Vaters existenziell wurde und bis heute geblieben ist.“
"Das hat meinen Blick auf die Welt verändert"
Die Antwort in Bezug auf das Erbe hatte Herrmann schnell gefunden: „Für mich wäre das Geld nur weiteres Geld gewesen, da ich Dank meiner Eltern immer in wohlhabenden Verhältnissen gelebt habe“, meint Herrmann, die mit ihrer Familie bis heute einen bescheidenen Lebensstil in ihrem Bungalow in einer dörflichen Gemeinde bei Stuttgart pflegt. „Für Kinder in Not kann aber jeder Euro einen gewaltigen Unterschied machen.“ Warum sie es nicht einfach gespendet, sondern einen Stiftungsfonds damit gegründet hat: „Hätte ich es gespendet, wäre es irgendwann verbraucht gewesen. In der Stiftung tut es nicht nur einmalig Gutes, sondern es bleibt erhalten, bewirkt dauerhaft Gutes und wächst sogar. Bei Familienfesten etwa sammle ich weitere Zustiftungen für den Kapitalstock, wodurch er mittlerweile um das Doppelte gestiegen ist. Und später einmal werden meine Kinder und deren Kinder den Stiftungsfonds übernehmen. Es ist also ein Engagement für die Ewigkeit.“
Was ihr Stiftungsfonds genau bewirkt, das hat sich Herrmann im Februar ganz persönlich angeschaut. Sie flog nach Ecuador und besuchte unter anderem das Straßenkinderprojekt, das mit ihren Mitteln finanziert wird. „Da sah ich eindrücklich, dass Bildung wirklich alles ändern kann. Straßenjungen, die einst keinerlei Perspektiven für ihr Leben sahen als die der Straße, machten in dem Projekt eine Berufsausbildung, und einige hatten dadurch sogar schon den Sprung von der Straße weg geschafft.“
Die Fragen nach Sinn und Werten im Leben haben Herrmann auch auf der Reise sehr beschäftigt. „Ich habe da sehr viel für mich gelernt - vor allem auch in einem Gemeinwesenprojekt in einem Armenviertel." Scheinbar kleine Mittel hätten da einen riesigen Unterschied gemacht. Tanz- und Musikkurse für Jugendliche, Nachhilfeunterricht, Schulungen zum Aufbau eines Einkommens mit Kleinstkrediten oder Anti-Gewalt-Trainings: Alles Dinge, durch die die Menschen selbstbewusster werden und Möglichkeiten bekommen, sich zu entwickeln und gemeinsam zu organisieren. „Von außen betrachtet, scheint dieser Schritt klein, denn sie leben zunächst noch immer in armen Verhältnissen“, so Herrmann. „Steht man aber inmitten der Favela, inmitten der Menschen, bemerkt man einen riesigen Unterschied: Da sind Menschen, die sich bereits ihrem vermeintlichen Schicksal gefügt und keinen Ausweg gesehen hatten. Und nun haben sie ihr eigenes Leben erstmals in der Hand und sehen einen Sinn in ihm - die wichtigste Grundlage, um sich überhaupt aus der Armut herauszuarbeiten zu können“, betont die Stifterin. „Die Menschen haben so viel Glück ausgestrahlt, dass mir diese Eindrücke noch bis heute nachgehen und meinen Blick auf die Welt verändert haben.“
„Es gibt ja viele Faktoren, mit denen man versuchen kann, sein Leben mit Sinn zu füllen“, resümiert sie, „Familie, Karriere, Sport, Familie, Glaube und und und. Die Frage ist doch: Welcher Sinn erfüllt mein Leben und das meiner Mitmenschen wirklich, welchem Sinn verschreibe ich mich also bewusst?“ Sabine Herrmann hat sich entschieden: „Kinder und ihre Familien zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen - das ist ein Sinnfaktor, dem ich mich sicherlich dauerhaft verschreibe.“
Es scheint, es gibt einiges zu besprechen mit Norbert Blüm und den Stiftern beim nächsten Treffen.
Werterhaltung, Wahrung des Stifterwillens sowie eine sichere und nach ethischen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtete Anlage des Stiftungsvermögens sind die Grundlagen der Arbeit der Kindernothilfe-Stiftung.
- 1999 wurde die Stiftung mit einem Stiftungskapital von 500.000 Mark gegründet
- Heute verfügt sie über ein Treuhand- und Stiftungsvermögen in Höhe von 23,2 Millionen Euro.
- Mehr als 650 Menschen engagieren sich mit Zustiftungen, Stiftungsfonds, Stifterdarlehen oder Treuhandstiftungen.
- Bisher wurden rund 2,85 Millionen Euro an Kindernothilfe-Projekte ausgeschüttet